Juve – Barca: Warum Cüneyt Çakir im spannenden CL-Finale lediglich drei Verwarnungen benötigt
FIFA-Referee Cüneyt Çakir (38/links) aus Istanbul leitet die schwierige Partie zwischen Juventus Turin und dem FC Barcelona (1:3) gut. In der 71. Minute allerdings liegt sein Torrichter, FIFA-Schiedsrichter Hüseyin Göçek, ebenfalls aus Istanbul, bei der Bewertung des Handspiels von Neymar nicht richtig.
So auch für Cüneyt Çakir, den 38-jährigen FIFA-Referee aus Istanbul, der die nicht einfache Partie zwischen Juventus Turin und dem FC Barcelona (1:3) trotz manch kniffliger, emotional aufgeladener Szene jederzeit im Griff behält.
Çakir, seit neun Jahren international im Einsatz (siehe „Pfiff der Woche“ vom 11. Juni 2014) und auch im vergangenen Jahr bei der WM in Brasilien im Einsatz, hat in den für jede Spielleitung entscheidenden Szenen das richtige Gespür.
Hellwach in den Schlüsselszenen
Der ideale Spielverlauf in einem Endspiel aus Unparteiischen-Perspektive ist: keine kritische Situation, möglichst unauffällig leiten, tunlichst nicht im Mittelpunkt stehen. Cüneyt Çakir hat das Glück und das Können, das diese Taktik, die nicht allein vom Schiedsrichter bestimmt wird, sondern vom Spielverlauf, grundsätzlich aufgeht.
Aber bei so einem Duell, Juve gegen Barca, muss der türkische Top-Referee, der bei der WM 2014 zu den Kandidaten für die Endspielleitung gehörte („Pfiff der Woche“ vom 27. Juni 2014) in den Schlüsselszenen energische, spielprägende Präsenz zeigen.
Abkühlung für Arturo Vidal
Beispielsweise gleich zu Beginn, als Cüneyt Çakir dem zunächst wie angestochen agierenden Ex-Leverkusener Arturo Vidal verklart, dass auch für ihn das Fußball-Regelwerk gilt. Die genauso notwendige wie völlig berechtigte frühe Verwarnung nach der Grätsche gegen Sergi Busquets hat auch Signalcharakter für die übrigen Akteure auf und neben dem Platz im Berliner Olympiastadion: „Halt, so nicht weiter, das ist die Grenze – für alle, nicht nur für Vidal“ – das ist die Botschaft, die von der Gelben Karte in der 11. Minute nachhaltig ausgeht. Diese Spiel- und Disziplinarkontrolle geht auf: Cüneyt Çakir benötigt lediglich zwei weitere Verwarnungen. Der Schiedsrichter hat bei den Aktiven eine große Akzeptanz für seine Entscheidungen und erreicht eine positive Außenwirkung.
Ja, Neymar spielt Hand, aber…
Sprung in die 71. Minute, Am Torraum von Juve: Barcas Neymar erhält eine maßgeschneiderte Flanke von Jordi Alba, köpft sich den Ball an den rechten Arm – und von dort aus geht die Kugel zum vermeintlichen 3:1 für Barcelona in die Maschen, unhaltbar für Juve-Legende Gianluigi Buffon. Cüneyt Çakir will aus dem Bauch heraus auf Tor entscheiden – und diese Bauchentscheidung wäre die bessere gewesen. Allerdings hat sein Torrichter Hüseyin Göçek, ebenfalls FIFA-Unparteiischer, etwas dagegen und informiert seinen Referee über ein vermeintliches absichtliches Handspiel.
Ein Fehler: Auch wenn sich Neymar das Leder an den eigenen Arm köpft, auch wenn sein Team dadurch einen Vorteil erhält, auch wenn Buffon dadurch möglicherweise irritiert wird: All dies spielt für die einfache Bewertung, ob ein Handspiel zu bestrafen ist oder auch nicht, keine Rolle. Es geht einzig und allein darum, ob das Handspiel absichtlich erfolgt oder unabsichtlich. Und ein unabsichtlicheres Handspiel als jenes in der 71. Minute von Berlin gibt es kaum.
Cüneyt Çakir, dem als Schiedsrichter die Entscheidung „Tor oder kein Tor“ obliegt, wird sich ärgern, dass er nicht seiner Wahrnehmung vertraute. Zudem wird er sich künftig vor einer so wichtigen Situation sicherlich noch länger mit dem Torrichter und auch dem zuständigen Assistenten beraten, in Ruhe und ohne zeternde Akteure um sich herum.
Aber, das Glück des Tüchtigen: Dieser unkorrekte Wahrnehmung des Torrichters ist nicht spielentscheidend. Barca gewinnt trotzdem. Insofern kann Cüneyt Çakir mit seiner ansonsten gezeigten Leistung zufrieden sein. Viel Arbeit hatte der Top-Referee, der Wirtschaft studierte und im Hauptjob als Versicherungsmakler tätig ist. Und „viel Arbeit“ bei einer sehenswerten Leistung, das bescheinigte der „Pfiff der Woche“ dem diesjährigen CL-Final-Referee übrigens auch schon im Juni 2012 bei der EM (siehe „Pfiff der Woche“ vom 28. Juni 2012, Halbfinale Portugal – Spanien, EM 2012/4:2 n.E.).
Der „Pfiff der Woche“ wird sich bei entsprechenden Anlässen auch in der Fußball-Sommerpause an dieser Stelle zu Wort melden, zum Beispiel nach ausgewählten Partien der Weltmeisterschaft der Frauen in Kanada. Dort amtiert im Eröffnungsspiel der gastgebenden Kanadierinnen gegen China (1:0) die ukrainische FIFA-Schiedsrichterin Kateryna Monzul (33 Jahre) sehr aufmerksam und entscheidet in der Nachspielzeit mit Recht auf Strafstoß für Kanada nach einem nicht einfach zu erkennenden, aber regeltechnischen klaren Armvergehen.
Der Pfiff der Woche ist ein Beitrag von Marco Haase in der az-online.