Bundesliga-Schiedsrichter Harm Osmers referierte bei Lehrversammlung
Hildesheim. Das gibt es nicht oft: Schiedsrichter-Neulinge, die kürzlich den Schiedsrichter-Anwärterlehrgang erfolgreich bestanden haben, erhalten aus der Hand eines Bundesliga-Referees ihre Schiedsrichterpässe.
Der Hildesheimer Schiedsrichterausschuss hatte den DFB-Schiedsrichter Harm Osmers zu der Lehrversammlung nach Himmelsthür eingeladen. Der Gastreferent gab Eindrücke aus dem Bundesligaalltag preis und bot einen mitreißenden Vortrag mit Erlebnisberichten, vielen Beispielen aus der Praxis und kniffligen Filmsequenzen. Damit zeigte Osmers unter welchem Druck Entscheidungen oft gefällt werden müssen und welche Auswirkungen sie haben können.
Besonders bei den wirtschaftlichen Aspekten in der Champions-League (Ausschüttung von 904 Mio. an 32 Teams), Abstieg aus der Bundesliga oder dem Ausscheiden bei der DFB-Pokalteilnahme in der 1. Runde können Fehlentscheidungen zu hohen finanziellen Verlusten seitens der Zuschauerzahlen oder dem Sponsering führen, machte Osmers deutlich. Mut, Selbstbewusstsein, Erfahrung, Persönlichkeit, Akzeptanz und die Zusammenarbeit in einem guten Team haben deshalb ohne Frage hohe Priorität, waren klare Worte des 32-Jährigen.
Doch zurück zu den neuen Hildesheimer Schiedsrichtern. Mit aufmunternden Worten gratulierte ihnen der Gastreferent, schließlich hatte er auch einmal so angefangen. Jetzt hat er am Ziel angekommen, wo von viele junge Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter nur träumen – nämlich Spiele in der 1. und 2. Bundesliga zu leiten. Doch es ist ein langer Weg bis dahin – mit viel Arbeit und guten Leistungen verbunden, Verzicht auf Freizeit und auch manchmal steinig. Der hohe Zeitaufwand für DFB-Schiedsrichter teilt sich folgendermaßen auf: Sommertrainingslager (6 Tage), 34 Spieltage plus DFB-Pokal und internationale Einsätze, vier Stützpunkte pro Saison, Wintertrainingslager (7 Tage), Training/Regenaration individuell, Beobachtungsanalyse (unmittelbar nach dem Spiel), Fernsehstudium Coaching (2 bis 3 Tage nach dem Spiel), Schulungen als Video-Schiedsrichter.
Letzteres ist die Korrektur per Video-Analyse über einen klaren Fehler in spielentscheidender Situation wie bei Toren, Strafstoßentscheidungen, Rote Karten oder Verwechslungen von Spielern bei persönlichen Strafen. Hier wird binnen 30 Sekunden aus dem Videoraum die Korrektur an den Unparteiischen zur Fortsetzung des Spiels weitergegeben. Zurzeit ist der „VAR Video Assistent Referee“ noch in der Testphase.
Ebenso gehört ein hohes Maß an körperlicher Fitness dazu, um im „Fußball-Oberhaus“ zu bestehen. „Ein Schiedsrichter legt in einem Spiel bis zu 14 Kilometer mit einer Pulsfrequenz von knapp 170 Schlägen pro Minute zurück, sagte Osmers in die Runde. Mit respektvollen Blicken und Kopfnicken wurde die Aussage quittiert. Aber es geht noch weiter: Für jedes Bundesligaspiel wird für die DFB-Schiedsrichter eine Laufauswertung mit den Leistungsdaten angelegt. Ein Nachweis über die gesamte Laufstrecke, Durchschnittsgeschwindigkeit, max. Geschwindigkeit, Sprints und Tempoläufe. Messungen, die auch hier im digitalen Zeitalter Einzug gehalten haben und die Referees gewissermaßen unter Druck setzen.
Außerdem hat das Fernsehen vehement aufgerüstet, denn „die Fernseh-Wirklichkeit zählt“. Bei jeder Entscheidung steht der Schiedsrichter im Brennpunkt. Gab es 1970 im Durchschnitt noch drei Kameras pro Bundesligabegegnung, sind es jetzt fast drei Mal soviel. Bei der WM 2014 in Brasilien waren rund 30 Kameras in den Stadien. Bei großen Spielen sind jetzt bis zu 50 Kameras im Stadion und dazu eine riesige Geräuschkulisse.
Zurzeit leiten in der 1. Bundesliga 23, in der 2. Bundesliga 21 und international 10 Schiedsrichter. Auf Bundesebene haben 2016 insgesamt 78.000 Unparteiische zum Spielbetrieb beigetragen, zog der Hannoveraner Bilanz.
Harm Osmers gehört dem SV Baden an und steht seit 2009 auf der DFB-Liste. Seit 2011 leitet in der 2. Bundesliga (bisher 51 Spiele), seit 2016 in der 1. Bundesliga (bisher sechs Begegnungen). Er arbeitet Investitionskontroller, seine knapp bemessene Freizeit besteht aus Laufen und Fitness, Hobbys die dem ledigen Hannoveraner bestens in sein Schiedsrichter-Schema passen. Wenn dann noch Zeit ist greift er zu einem guten Buch, um sich auszuspannen. (bn)
Fotos: Neumann