Eine Schiedsrichter-Familie mit Pfiff

Von Thorsten Berner
*Freden/Sorsum.* Spieler, die nicht meckern und jede Entscheidung des Schiedsrichters klaglos akzeptieren. Ein Referee, der im Zweifelsfall auch mal ein Auge zudrückt und die rote Karte stecken lässt. Linienrichterinnen, die mit einem charmanten Lächeln jede Kritik im Keim ersticken — und ganz nebenbei eventuelle Vorurteile gegenüber Ausländern ad absurdum führen — so stellt sich der liebe Gott die Fußballwelt vor. Sogar die sanften, welligen Waldhügel rings um den idyllisch gelegenen Fredener Sportplatz passen an diesem Tag nahezu perfekt ins Bild.
Selbst ein gewaltiger Hagelschauer kann das Lächeln nicht aus den Gesichtern von Jaclin (13), Jasmin (16) und Erdinc Parlak (42) vertreiben. Am meisten strahlt Erdinc Parlak. Seit 25 Jahren pfeift er Fußballspiele auf Kreisebene. Doch dieser Tag ist etwas Besonderes. Zum ersten Mal darf er ein Spiel zusammen mit seinen beiden Töchtern leiten, die ihm als Linienrichterinnen zur Seite stehen — eine pfiffige Familienzusammenführung.
Okay, es geht nicht mehr um viel in der letzten Saisonpartie der Leistungsklasse zwischen dem SV Freden und der II. Mannschaft des VfL Nordstemmen. Mit Auf- und Abstieg haben beide Teams nichts mehr zu tun, was natürlich wesentlich zur entspannten Atmosphäre beiträgt. Und was dem Schiedsrichterobmann diese außergewöhnliche Ansetzung erheblich erleichtert hat.

„Eine gute Entscheidung, denn nur in Spielen, wo der Druck nicht so groß ist, können unerfahrene Linienrichterinnen wie Jaclin dazulernen“, meint Erdinc Parlak. In vielen anderen Partien hätte zum Beispiel jene Szene aus der ersten Halbzeit für heftige Proteste gesorgt. Als ein Nordstemmer Spieler aus abseitsverdächtiger Position ein Tor erzielt, bleibt Jaclins Fahne unten. Ihr Vater aber entscheidet auf „Abseits“. Dabei hatte er der Tochter vor dem Spiel in der Kabine noch folgenden Ratschlag mit auf den Weg gegeben: „Wenn du unsicher bist, warte, bis ich gepfiffen habe, und dann hebst du schnell die Fahne.“ Aber die Fahne bleibt unten. Wilde Proteste der Nordstemmer gibt es nicht. „Die meisten Spieler merken, dass Jaclin noch in der Lernphase ist und zeigen Verständnis“, sagt Erdinc Parlak. Allerdings bestehe natürlich auch die Gefahr, dass sie nicht richtig ernst genommen werde. „Jaclin muss sich den Respekt erarbeiten. Das braucht Zeit.“ In Freden absolviert sie gerade mal ihr sechstes Spiel.
Weitaus mehr Partien hat die 16-jährige Jasmin auf dem Buckel. Sie stand sogar schon in der Regionalliga der Frauen an der Linie. Auf die Hilfe des Vaters ist sie kaum noch angewiesen. „Sie hat gelernt, eigene Entscheidungen zu treffen und steht dazu“, lobt der Papa seine Älteste.
Er sieht für seine Töchter viele Vorteile: „Sie lernen, wie man sich durchsetzt und mit Kritik umgeht. Sie sind an der frischen Luft und bewegen sich.“ Außerdem werde das Taschengeld aufgebessert, ergänzt Jasmin. Für jeden Einsatz gibt es 13 Euro. „Ich runde meist auf 15 auf“, sagt der Vater. Das Familiengespann pfeift für den SV Teutonia Sorsum.

In Sorsum wohnen die Parlaks auch. Warum hat sich Erdinc Parlak, Kalkulator einer Hildesheimer Baufirma, gerade die Schiedsrichterei als Nebenjob ausgesucht?
Der 42-Jährige holt tief Luft: „In den Zeitungen liest man immer wieder von Gewalt auf Fußballplätzen. Oft sind Ausländer beteiligt — leider. Ich will zeigen, dass es auch anders geht. Dass sich türkische Mitbürger daran beteiligen wollen, für Fairness auf den Sportplätzen zu sorgen. Den fairen Umgang miteinander sollen auch meine Töchter beherzigen — auf dem Fußballplatz, in der Schule und im Alltag.“ Die Nationalität spiele dabei keine Rolle.

Jasmin und Jaclin sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Die Türkei haben sie nur auf Urlaubsreisen kennengelernt. „Wir fühlen, sprechen und denken deutsch“, sagen sie. Und wenn trotzdem mal komische Sprüche kommen, zum Beispiel wegen ihres türkischen Aussehens? „Früher habe ich mich darüber aufgeregt, heute nicht mehr“, erklärt Jasmin.
Hängt das mit ihrem Job auf dem Fußballplatz zusammen? „Ich glaube schon“, sagt sie, „ich bin gelassener geworden. Und selbstbewusster.“
Nach dem Spiel in Freden (Nordstemmen gewann übrigens mit 2:1) dürfte ihr Selbstbewusstsein noch um einiges gestiegen sein. Denn Jasmins Befürchtung, dass der Papa nach der Partie „bestimmt herummeckert“, bewahrheitet sich nicht. Stattdessen meckert Jasmin: „Also, dem einen Spieler hättest du die rote Karte zeigen müssen, der war letzter Mann und hat seinen Gegenspieler festgehalten“, kritisiert sie.
„War da nicht noch ein Mitspieler auf gleicher Höhe?“, fragt der Vater augenzwinkernd zurück. Jasmin lächelt verständnisvoll. Eine rote Karte hätte auch irgendwie nicht in die heile Fredener Fußballwelt gepasst. Nicht an diesem besonderen Tag.

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