Relegation in Karlsruhe: Was der Unparteiische Manuel Gräfe mit Torwart Oliver Kahn gemeinsam hat
Karlsruhe. Bei Schiedsrichtern ist es wie mit Torhütern: Du kannst 89 Minuten klasse pfeifen oder halten – aber wenn Dir in der 90. Minute ein wichtiges Ding durchrutscht, dann redet die ganze Welt nur von diesem einen, einzigen, so ungerechten Bruchteil einer Sekunde.
Exzellente Kommunikation mit den Akteuren, alle brenzligen Situationen entschärft, auch versteckte Vergehen (Armeinsätze!) ausgezeichnet gesehen, Gelbe Karten, die sitzen und wirken – all das zählt jetzt in Karlsruhe und Umgebung wenig. Denn in der 90. Minute gibt Manuel Gräfe einen direkten Freistoß für den HSV, der aus seiner Perspektive verständlich und zu erklären ist, der indes – nach dem Studium der Zeitlupen – keiner ist.
Was in dieser Szene geschieht: Hamburgs Slobodan Rajkovic schießt das Leder Richtung Tor, Karlsruhes Jonas Meffert steht halbwegs in der Schussbahn, dreht sich weg, um die Kugel nicht ins Gesicht zu bekommen. Dabei bewegt Meffert die Arme, der Ball berührt den linken Arm. Handspiel, ja. Aber strafbar?
Ein Handspiel allein macht nichts. Im Gegenteil. 90 Prozent aller Handspiele im Fußball sind unabsichtlich. Viel zu viele davon werden gepfiffen, gerade auch in der Bundesliga. Mit dem Spruch „Vergrößerung der Körperfläche“ haben die Erfinder dieses suboptimalen Mottos eher für Verwirrung gesorgt, nicht für Klarheit. Geahndet werden dürfen nur absichtliche Handspiele. Faustregel: Geht der Ball zur Hand, ist es unabsichtlich – weiterspielen. Geht die Hand indes zum Ball, dann ist es eher absichtlich. Folge: Direkter Freistoß oder Strafstoß, je nachdem, wo und durch wen.
Strafbar ist es auch, wenn sich beispielsweise ein Verteidiger mit ausgestreckten Armen vor den Stürmer stellt und der Ball dann gegen die Hand prallt – unnatürliche Armhaltung, absichtlich. Aber abhacken kann sich ein Abwehrspieler die Arme auch nicht, deswegen muss er sie sich nicht an den Körper kleben.
Und wenn ein Schuss aus kürzester Entfernung abgegeben wird, so wie in Karlsruhe, bei dem der Verteidiger kaum reagieren kann, dann ist dies das klassische Beispiel für ein unabsichtliches Handspiel. Passiert das in der ersten Minute, und der Freistoß geht übers Tor, redet kein Mensch mehr darüber… aber so… das ist das manchmal Tragische am Job des Referees.
Warum entscheidet Manuel Gräfe auf Freistoß? Weil er aus seiner Perspektive die Armbewegung von Meffert falsch deutet: als absichtliche Bewegung zum Ball. Ein Wahrnehmungsfehler. Leider mit spielentscheidenden Folgen. Das weiß der 41-jährige Sportwissenschaftler von Hertha 03 Zehlendorf mittlerweile auch selbst und ärgert sich vermutlich am meisten.
Manuel Gräfe wird inzwischen ebenso einsehen, dass er ein weiteres Handspiel fälschlicherweise als strafbar bewertet. Karlsruhes Rouwen Hennings zieht in der 122. Minute aus etwa 17 Metern gen HSV-Tor ab und trifft den normal gehaltenen Arm von Hamburgs Johan Djourou. Nicht mehr entscheidend, Torwart Adler hält überdies. ARD-Kommentator Steffen Simon bekommt diese Situation, wie auch manch andere Szene in dieser Partie, zunächst gar nicht mit und muss erst von seiner Regie darauf hingewiesen werden.
Ohne Oliver Kahn hätte es die deutsche Nationalmannschaft 2002 niemals ins WM-Finale von Yokohama geschafft. Und dann hält der damals weltbeste Torhüter diesen blöden Schuss von Rivaldo nicht fest… Manuel Gräfe bringt in Karlsruhe dieses schwer zu leitende Spiel ohne Eskalationen über die Bühne – und jeder redet allein über die falsch bewerteten Handspiele. Bei Schiedsrichtern ist es wie mit Torhütern. Du kannst 89 Minuten klasse pfeifen oder halten – aber wenn Dir nur ein einziges Ding durchrutscht…
Der Pfiff der Woche ist ein Beitrag von Marco Haase in der az-online.